Schiffsdiebe

Schon die ersten Zeilen von „Schiffsdiebe“ ziehen seine Leser in ihren Bann. Schnell wird klar, dass sich die Geschichte in einer düsteren Vision einer nicht allzu fernen Zukunft abspielt. Die Welt wird von Unwettern heimgesucht, schlimmer noch, als man es aus der Gegenwart kennt, Rohstoffe werden knapper, die Kluft zwischen Arm und Reich ist größer denn je. Mitten in diese Welt wird Nailer geboren, er wächst inmitten einer grausamen Umgebung auf, die er für selbstverständlich hält, denn er kennt nichts anderes. Die Grausamkeiten von Vorgesetzten, Konzernrepräsentanten und seinem eigenen Vater sind Normalität. Inmitten diesen Gräuels gibt es jedoch auch Freundschaft und Treue, denn nicht jeder ist sich selbst der nächste. Seine beste Freundin Pima zum Beispiel und ihre Mutter Sadna, die ein wenig Nailers verstorbene Mutter ersetzt, jedoch selbst zu arm ist, um ihm dauerhaft zu helfen. Als krasser Gegensatz tritt später das reiche Mädchen Nita auf, die ein Leben im Luxus führt, auf die hart arbeitenden Schiffsbrecher herabsieht und – so viel sei an dieser Stelle verraten – deren Vater genau den Konzerns besitzt, der verantwortlich ist für das Elend von Nailer und den anderen Strandbewohnern. Die Kritik an skrupellosen Konzernpraktiken, die sich nicht um die Menschen scheren, die für die Drecksarbeit zuständig sind und den Reichtum der oberen überhaupt erst ermöglichen, lässt sich einfach auf unsere Zeit übertragen, auf namhafte Computer- und Sportartikelhersteller oder Elektronikkonzerne.

Ein interessanter Aspekt, der dem Roman seine Science Fiction Note verleiht, sind die „Halbmenschen“, die genetisch aus Menschen, Tigern und Hunden erschaffen wurden. Sie erfüllen nur einem Zweck: den Menschen zu dienen und ihnen treuen Gehorsam zu schwören. Hier regt der Autor gleich auf zweierlei Art zum Nachdenken an: Ist es moralisch vertretbar, Lebewesen künstlich zu erschaffen? Sind sie weniger wert, nur weil sie keine vollwertigen Menschen sind und rechtfertigt ihre genetische Programmierung ihre Ausbeutung? Der Halbmensch Tool zumindest zeigt, dass auch ein künstlich erschaffenes Wesen wie er nicht hilflos seinen Genen ausgesetzt ist, denn er entscheidet nach seinem freien Willen, wem er Gehorsam beweist und wen er verrät. Tool ist in der Geschichte vielleicht der interessanteste Charakter, immer etwas undurchschaubar, beängstigend und beeindruckend zugleich. Gleichzeitig gehört er zu den intelligentesten Charakteren der Geschichte, obwohl er „nur“ ein Halbmensch ist.

Paolo Bacigalupis Roman ist von der ersten bis zur letzten Seite spannend und greift wichtige gesellschaftliche Themen auf, die sich auch auf unsere Zeit übertragen lassen. Zwar sind einige Szenen von brutaler Deutlichkeit und untermalen die düstere und grausame Kulisse sehr plastisch, doch ist die Geschichte an keiner Stelle abstoßend oder sinnlos gewalttätig. Nie wird die Gewalt als etwas Positives dargestellt, auch wenn sie in der Welt von Nailer zum Alltag gehört. Die Geschichte ist in sich abgeschlossen, das Ende bietet jedoch genug Potenzial und Spannung für die Fortsetzung. (Auf Humor ist die Geschicht nicht ausgelegt, darum wurde dieser Bewertungspunkt ausgeklammert.)