Memory

Stadt der Träume

Autoren
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Arena Verlag
Anspruch
5 von 5
Humor
5 von 5
Lesespaß
5 von 5
Schreibstil
5 von 5
Spannung
5 von 5

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Zusammenfassung zu “Memory”

Jude Finney ist eigentlich ein ganz normaler Junge, der mit seinem Vater zusammen lebt und zur Schule geht. Mit einem Unterschied: Er kann Geister sehen. Er lernt die rätselhafte Miss Rathbone kennen, die in einer Straße inmitten des Highgate Cemetery in London wohnt und die ihn mit den Geistern des Highgate bekannt macht. Da ist vor allem Quentin Gaskell, der zu Lebzeiten ein bekanner Rockmusiker war und nun auf dem Friedhof in seiner Gruft rauschende Parties feiert. Bei einer dieser Parties trifft Jude draußen auf dem Friedhof das Mädchen ohne Namen, das sich nicht an seine Geschichte erinnert oder daran, wie es auf den Friedhof gekommen ist. Es scheint halb Mensch und halb Geist zu sein, der Geist eines Körpers, der stirbt aber noch nicht tot ist. Zusammen mit den Geistern und Miss Rathbone macht sich Jude daran, Storys (wie das Mädchen ohne Namen getauft wird) Geschichte wiederzufinden.

Gleichzeitig geschehen auf den großen Friedhöfen Londons erschreckende Dinge, die mit Storys Geschichte in Verbindung zu stehen scheinen: die „Gesichtslosen“ besuchen einen Friedhof nach dem nächsten und fangen mit Hilfe einer düsteren Laterne die geisterhaften Bewohner ein, bis der Friedhof unbewohnt ist. Auch Lady Lovelace, die Lieblose genannt und halb Statue, halb Mensch, fällt ihnen zum Opfer, bevor Story und Jude sie nach Stories Geschichte befragen können. Und so muss sich Jude auf den Weg machen, ermittelt ihre Schule und erfährt die Arbeitsstelle ihrer Mutter, wo er auf deren zwielichtigen Chef Mr Morley stösst, der seinerseits mehr zu wissen scheint, als er zugibt…

Wichtige Charaktere

  • Jude Finney
  • das Mädchen ohne Namen, „Story“
  • Judes Vater George Finney
  • Storys Mutter Jackie Scott
  • Miss Rathbone, die „Füchsin“
  • Quentin Gaskell
  • die Gesichtslosen, die Sluagh
  • Mr Morley
  • Lady Lovelace

Zitate

„Miss Rathbone war nicht wirklich alt und auch nicht mehr jung. Vor allem ihre Augen schienen zeitlos, sie erinnerten Jude an die Schauspielerinnen in alten Filmen, die manchmal auf BBC2 liefen. Miss Rathbones Bewegungen waren geschmeidig, wie die eines wilden Tiers im Unterholz.
Auf den schmalen Treppenstufen standen Töpfe in allen Größen mit allerlei grünen Pflanzen darin. Wild wuchernde Gebilde mit großen, gezackten Blättern. Manche krochen an den Stufen hinab, andere die Wände hinauf. Oben angekommen durchquerten sie einen Korridor, von dem aus Jude in einige der Zimmer spähen konnte. Das Haus hatte etwas Höhlenartiges. Überall standen Pflanzen, Töpfe in allen Farben und Größen. Wie die Außenfassade des Hauses bedeckten Efeu und Ranken anderer Pflanzen auch die Innenwände und rahmten die Fenster ein. Im Vorbeigehen entdeckte Jude steinerne Figuren in manchen Zimern, die aussahen wie ein Buddha mit dem Kopf eines Fuchses. Da waren Brunnen, in Form heller Steinschalen, in denen leise das Wasser plätscherte. In manchen schwammen Fische und kleine Wasserschildkröten. Das ganze Haus atmete etwas Lebendiges. Die Holzdielen der Böden sahen beinahe wie richtige Äste aus. Hie und da lagen Matten aus einem Material, das Jude nicht kannte.“

„Story und Jude lauschten gebannt den Worten, die ihnen geschenkt wurden. Denn das gehörte sich so, wenn jemand auf dem Friedhof eine alte verstaubte Geschichte mit einem teilte. Geschichten, das wusste Jude, waren wertvoll, denn sie halfen einem, die Welt zu verstehen. Sie lenkten von den wirklich schlimmen Dingen ab und manchmal, in den besten Fällen, ließen sie Hoffnung aufkeimen.“

„Er schaute sich um. Betrachtete all die geschäftigen Menschen, die Tag für Tag ihre Rollen spielten und mit griesgrämigen Mienen die Strecke zwischen Wohnung und Arbeitsplatz bewältigten. Jeden Tag taten sie ein und dasselbe. Abgestumpft von der Mühsal ihres Lebens, erfreuten sie sich nicht mehr an gewöhnlichen Dingen: einem Tropfen Tau, de sich frühmorgens in einem Spinnennetz verfängt; an dem Licht, das im Frühling in den Pfützen glitzert, bevor die Stadt richtig erwacht; an den Liedern, die in der Stadt von jungen Musikanten gesungen werden.“

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Persönliche Bewertung

Ein typischer 'Marzi' - meisterhaft geschrieben, verträumt und phantasievoll!

5 von 5

Wer Christoph Marzi kennt, weiß um seine unvergleichliche Art sich auszudrücken, seine schier grenzenlose Phantasie und seine Geschichten voller unkitschiger Romantik, Melancholie und Träumen. Wer seine Geschichten mag, wird auch „Memory“ lieben; wer seinen bisherigen Geschichten aus dem einen oder anderen Grund nichts abgewinnen konnte, wird auch mit diesem Buch nicht warm werden. Kritiker mögen auch in dieser Geschichte Parallelen zum großartigen Neil Gaiman finden (Inspiration für dieses Werk dürfte unter anderen das „Graveyard-Buch“ gewesen sein). Doch lassen sich genügend Unterschiede, eigenständige Charaktere und eine sich deutlich unterscheidende Handlung feststellen, um die Parallelen nicht anzuprangern. Sicherlich ähnelt „Memory“ dem Vorgänger „Heaven“ in der Hinsicht, dass es – wie in vielen von Marzis Geschichten – um eine besondere Hauptfigur geht. Eine Figur, die zwar eigentlich ganz „normal“ ist, ein normales Leben führt, aber dennoch irgendwie auf positive Weise „anders“ ist. Eine Figur, die tiefer blickt als die breite Masse, und die durch einen Zufall in eine magische und fesselnde Welt hineingezogen wird. Damit enden die Gemeinsamkeiten aber eigentlich auch schon wieder. Marzis Charaktere fühlen sich meist mit der Musik verbunden (was das Herz jedes musikliebenden Lesers erwärmt), sind aber dennoch unterschiedlich. Immer jedoch sind sie Sympathieträger, die man in der Geschichte liebgewinnt, mit denen man mitfiebert und die man auf der letzten Seite kaum verabschieden mag, selbst wenn das Happy End ihnen ein wunderbares Leben prophezeien sollte. Ein weiterer großer Pluspunkt: Wie wenig andere Autoren schreibt Marzi meisterhafte erste und letzte Sätze, die der Geschichte den passenden Rahmen verleihen: Während der geheimnisvolle erste Satz („Die Stunde, in der das Mädchen ohne Namen seine Geschichte verlor, war die letzte des Tages.“) den Leser sofort in seinen Bann zieht, verhilft der letzte Satz der Geschichte zu einem gebührenden Abschluss, der den Leser in einem Zustand äußerster Zufriedenheit zurücklässt (abgesehen von der Trauer über den Abschied von den liebgewonnenen Charakteren). Sprachlich befindet sich auch „Memory“ auf gewohnt hohem Marzi-Niveau (das mit wenig anderen modernen Autoren vergleichbar ist und in seiner eigenen Liga der Sprachmagier spielt, der Liga der Marzis und Moers‘). Die Geschichte selbst begeistert mit ihren Kulissen, mysteriösen Kreaturen, eigenwilligen Charakteren und tiefgründigen Überlegungen.

Fazit

Ein mehr als lohnenswertes Buch für alle Fans anspruchsvoller Urban Fantasy, für alle Träumer und Romantiker und alle, die schöne Sprache zu schätzen wissen.

ISBN10
3401066226
ISBN13
9783401066226
Dt. Erstveröffentlichung
2011
Gebundene Ausgabe
321 Seiten
Empfohlenes Lesealter
Ab 14 Jahren